Unruhwelle einer seltenen Lange & Söhne anfertigen

  1. Eine sicher nicht alltägliche, aber entsprechend diffizile Arbeit eines Uhrmachers ist es, eine Unruhwelle als Ersatz einer defekten (im allgemeinen gebrochenen) Welle anzufertigen.

    Durch den entsprechend hohen Aufwand kommen für diese Arbeit ausschliesslich sehr hochwertige Uhren in Frage.

    Als Beispiel beschreibe ich hier die Anfertigung für eine sehr seltene Lange & Söhne Taschenuhr. Das Besondere ist das Gehäuse, welches nicht wie üblich über einen zu öffnenden Boden verfügt, sondern bei dem diese Position komplett verschlossen ist.

    Wie im Anhang zu sehen wird das Werk von vorn, also von der Blattseite aus der Schale genommen, dieses ist mit zwei Schrauben unterhalb des Glasrandes fixiert.

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    Die einzelnen Arbeitsschritte:

    1. Ausbau der kompletten Unruhe. Pitonschraube=äussere Befestigung der Spirale am Kloben.

    2. Abnehmen der Spirale von der Unruh.

    3. Herausschlagen der noch vorhandenen Unruhwelle, dabei löst sich ebenfalls die Sicherheitsrolle.

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    4. Massnehmen der vorhandenen Masse
    Dadurch, das ein Zapfen nicht mehr vorhanden war und mir somit das direkte Mass der Gesamtlänge fehlte, habe ich nach Entnahme der Decksteinplatten versucht dieses Mass zu ermitteln.

    Da die Messspitze des Feintasters zumindest auf der Klobenseite zu breit war, habe ich mir ein Hilfsmittel aus einem alten Zifferblatt gestanzt (Durchmesser 1,0mm), dann geschliffen (0,37mm) und zum Schluss auf den klobenseitigen Deckstein gelegt habe.
    Nun hatte ich wieder die Möglichkeit, die ursprüngliche Gesamtlänge (- 0,37mm) zu ermitteln.

    5. Drehen nach traditioneller Glashütter Methode, d.h.Zapfen auf 0,3mm Länge plus 0,15mm Trompete,dann auf Stärke von 0,12mm drehen, das Endmass der Zapfen wird dann 0,10mm im Zapfenrollierstuhl.

    Die beschriebene Welle besitzt keinen besonderen Ansatz wie z.B.Teller,Nietansatz etc.sondern ist eine sogenannte konische Steckwelle, deren Sollmass zwischen den Zapfen in der Stärke von 0,45 bis 0,50 steigt.
    Deshalb wird eine solche Welle auch nach Glashütte Art gefertigt, denn man hätte einfach keine Gewähr, das die Welle beim Umspannen nicht schlägt, es wird also ohne umspannen gedreht !

    Empirisch muss der Winkel für den Wellbaum ermittelt werden,d.h. der Kreuzsupport um etwa 0,5 Grad aus der „0“ Lage gebracht (am besten mit einer anderen Welle), bis man die 5/100 auf der entsprechenden Länge misst.

    Nachdem der erste Zapfen besteht, wird die Welle mit einem entsp.Übermass für den Drehmeissel aus der Spannzange gezogen und der schon vorhandene Zapfen wird in die Hohlkörnerwelle des Reitstockes(ich habe den Hohlkörner zum Schutz des Zapfens mit einem Korkfitzel gefüttert)geschoben.

    Das weitere Reduzieren der Welle sollte dann so geschehen dass die Welle zur Spannzange hin stärker reduziert wird, da der Zangenseitige Teil der Welle recht robust ist. Den Zapfen belasse ich beim Drehen bei 0,20mm, die Trompete ist dran und steche dann den Übermasszapfen auch in der Länge mit Übermass mit dem Meissel ab.

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    Gesamtlänge ist jetzt Soll +8/100mm.

    6. Härten in einem mit Kohlenstoff zur ca. Häfte gefüllten Härteröhrchen wird die Welle gelegt, dann gänzlich bis zur Gewindegrenze weiterhin mit Kohlenstoff gefüllt, verschraubt und dann unter Flamme ca. eine Min.mässig hellrot geglüht. Im Wasserbad abgeschreckt, entnommen
    und im mit Messingspänen gefüllten Anlasspfanne auch bestehend aus Messing mit der Spirituslampe angelassen. Dazu lege ich einen aus dem gleichen Material wie die Welle bestehenden Stahl (übrigens C110=entsp.1,1%C,also gut härtbar), die Anlassfarben ist in den Dimensionen einfach besser zu beobachten, wenn das Material Farbe gewinnt und entsp. seine Härte/Sprödigkeit verliert.

    Ich beobachte also die Anlassfarben.

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    7.Rollieren und Arrondieren:

    Das Rollieren geschieht im Zapfenrollierstuhl,ebenso das Arrondieren (das Abrunden und Polieren der Zapfenenden).

    Zum Endmassrollieren lege ich als erstes den 12/100 Zapfen in den 10/100 Ausschnitt und bearbeite den Zapfen so lange, bis sich das Poliergeräusch merklich reduziert (ja,das kann man hören !). Den stärkeren Zapfen bearbeite ich stufenweise, dabei wird auch gleichzeitig die Trompetenschulter poliert,ist zwar überflüssig, macht aber die gewünschte Perfektion aus.Dann folgt das Arrondieren der Zapfenenden, was schon in einem anderen Beitrag erklärt worden.

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    8. Einschlagen der Welle in die Unruh, montieren der Sicherheitsrolle und Statisches Auswuchten.

    Nachdem die Welle vorsichtig in den Unruhkörper geschlagen wird (Höhe wurde ursprünglich ermittelt), wird die Sicherheitsrolle ebenfalls aufgeschlagen Des sollte schon recht streng passieren, damit ein Versetzen ausgeschlossen ist.

    Ist dieses geschehen, wird die nun fast komplette Unruh auf eine sich in der Waage befindliche Unruhwaage mit den Zapfen auf den Saphirschneiden gelegt, um festzustellen, ob und an welcher Position noch ein Massefehler zu suchen ist. In dem beschriebenen Fall hatte die Unruh einen deutlichen Schwerpunktfehler, den ich mit Hilfe der Masseschrauben (rein bzw.raus drehen) beseitigt habe. Der Masseschwerpunkt ist also sozusagen in die Mitte der Unruhwelle gewandert.
    Das bedeutet das die Uhr später nahezu Lagenunabhängige Gangwerte zeigen wird.

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    9.Aufsetzen der Spirale,montieren an den Kloben und regulieren.

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    Erst nachdem die Welle fertiggestellt wurde, habe ich die Uhr kompl.zerlegt und gereinigt, vier Zapfen poliert, Chaton des Federhauses korrigiert (siehe Foto) Dadurch, dass das Federhauschaton nicht in seiner Position ausreichend befestigt war, hatte es zuviel Höhenspiel und somit Physischen Kontakt zum Minutenrad.

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    Nun zeigt die Uhr max. 4sec/Differenz am Tag zwischen den Lagen.

    Ich glaube, das Verfassen dieser Zeilen hat gefühlt fast so lang gedauert wie die Erstellung der beschriebenen Welle.

    Ich würde mich über Kommentare Eurerseits freuen, selbstverständlich stehe ich auch für Nachfragen zur Verfügung.

    Karsten